Konflikte müssen auf den Tisch – Jetzt und nicht morgen!

Sollten Konflikte am Arbeitsplatz eskalieren, bleiben nur Verlierer übrig. Mitarbeiter werden wegen des erheblichen Drucks krank oder kündigen, Unternehmen werden dadurch finanziell belastet oder verlieren Mitarbeiter. Um nun der Eskalation von Konflikten vorzubeugen bzw. Konflikte rechtzeitig „zu bearbeiten“, lohnt sich ein Blick auf die Erkenntnisse der Konfliktforschung.

Der sehr bekannte Konfliktforscher Friedrich Glasl hat hunderte von Konflikten untersucht, analysiert und daraus ein Phasenmodell entwickelt, das den Verlauf von sozialen (=zwischenmenschlichen) Konflikten beschreibt. Demnach zeichnet sich ein Konflikt durch 9 Phasen aus:

Verhärtung (1), Debatte (2), Taten statt Worte (3), Koalitionen (4), Gesichtsverlust (5), Drohungen (6), Begrenzte Vernichtungsschläge (7), Zersplitterung/totale Zerstörung (8), Gemeinsam in den Abgrund (9).

Da alle Theorie grau, das Leben aber bunt ist, ein Beispiel aus der Praxis. Hier ist es zu dem seltenen Fall gekommen, dass alle Phasen von den beteiligten Konfliktpartnern ausgelebt wurden:

In einem kleinen Forschungsinstitut, in dem das Team sehr eng zusammen arbeitet und aufeinander angewiesen ist, gerieten eine Assistentin (Anna) und eine Forscherin (Paula) über mehrere Monate so aneinander, dass ein weiteres Zusammenarbeiten nicht mehr möglich wurde. Was war geschehen?

Paula, die oft abends sehr lange arbeitete, kam als Ausgleich manchmal erst gegen Mittag ins Büro. Bei der Assistentin Anna, die zu Geschäftszeiten im Büro sein musste, stapelten sich vormittags dann diverse Fragen, die sie an Paula hatte. Von dieser Situation war Anna zunehmend genervt und ihr Unmut gegen Paulas späte Bürozeiten wurde immer größer (Phase 1 = Verhärtung).

Anna begrüßte Paula, die um 12 Uhr beim Betreten des Büros „Guten Morgen“ sagte, dann eines Tages mit den Worten „Guten Mittag könnte man fast schon sagen, hier sind schon wieder diverse Fragen aufgelaufen.“ Paula erwiderte mit genervter Stimme: „Darf ich mir erstmal einen Kaffee holen?“ (Phase 2 = Debatte oder der Konflikt kommt auf den Tisch).

Da Anna mit Worten nicht weiter kam und Paula nicht einsah, früher ins Büro zu kommen, sprich sich die Situation nicht änderte, griff Anna zu neuen Maßnahmen. Sie ließ Taten sprechen und beantwortete Kundennachfragen ab sofort ohne (die eigentlich vereinbarte) Rücksprache mit der Forscherin Paula. (Phase 3 = Taten statt Worte). Paula war ihrerseits über Annas Eigenmächtigkeit erzürnt und beschränkte ihre Kommunikation mit Anna von nun an auf den nonverbalen email-Verkehr (Phase 3 = Taten statt Worte).

Da so eine verhärtete und verstummte Situation emotional schwer zu ertragen ist, sucht sich der Mensch ab dieser Phase Koalitionen, also Verbündete, die die eigene Meinung teilen. Das taten auch Anna und Paula. Beide bildeten aktiv ihre „Lager“, warben bei den Kollegen um Zustimmung zu ihren Positionen: Alle müssen ab 9 Uhr im Büro sein (Anna) versus das sollte individuell geregelt werden (Paula). (Phase 4 = Koalitionen).

Psychisch gestärkt durch die angeworbenen Mitstreiter und dem Gefühl, mit seinem Problem nicht alleine dazustehen, ging es nun beim Konflikt zwischen Anna und Paula rasant weiter. Anna fing an, bei Teamsitzungen abfällige Bemerkungen zu Paula zu machen: „Kein Wunder, dass du abends so lange arbeitest, da wartet ja auch niemand zu Hause auf dich.“ (Phase 5 = Gesichtsverlust). Paula konterte: „Wenn du hier in der Sitzung nicht sachlich bleibst, müssen wir uns an höherer Stelle auseinandersetzen.“ (Phase 6 = Drohungen).

Zwischen den beiden folgten dann in den nächsten Wochen massive Behinderungen der gegenseitigen Arbeit. Dokumente verschwanden (Phase 7 = Begrenzte Vernichtungsschläge) , der Kopierer war gerade dann kaputt, als ein wichtiger Bericht abgegeben werden musste (Phase 8 = Zerstörung) und die übrige Belegschaft hatte den Eindruck, dass sich hier zwei Menschen bewusst das Leben schwer machen und auch nicht mehr die Konsequenzen ihrer Handlungen berücksichtigen, egal, ob es ihnen selbst schadet oder nicht (Phase 9 = gemeinsam in den Abgrund).

Endlich, aber viel zu spät, griff die Chefin ein und beendete die Zusammenarbeit der beiden, indem sie ihnen neue Aufgabenbereiche zuteilte. Die neuen Aufgaben stellten allerdings beide nicht zufrieden, zudem fühlten sie sich degradiert und nach einigen Wochen kündigte erst Anna und dann auch Paula.

Glasl betont, dass „…der Weg der Eskalation mit einer zwingenden Kraft in Regionen führt, die große, unmenschliche Energien aufrufen, die sich jedoch auf Dauer der menschlichen Steuerung und Beherrschung entziehen.“

Dieses Modell eignet sich sehr gut als Analyseinstrument für einen Konflikt und die Beantwortung der Frage, wo stehen wir und was können wir tun? Dabei sollte berücksichtigt werden, dass sich die Konfliktparteien nicht in der gleichen Phase befinden müssen bzw. es können auch Phasen übersprungen werden. Wichtig ist zu wissen, dass in ca. Phase 4 -6 der Konflikt noch mit einem externen Berater geregelt werden kann, danach aber nur noch ein Machteingriff von außen (Trennung der Konfliktparteien, Kündigung o.ä) hilft. In Phase 1 – 3 hingegen, gibt es in der Regel noch Chancen, dass die Beteiligten selbst oder mit Hilfe einer Führungsperson zu einem vernünftigen Umgang miteinander kommen.

Wir sollten also Konflikte angehen, sobald sie erkennbar sind. Führungskräfte dürfen hier nicht wegschauen und Konfliktmanagementseminare sind für alle Mitarbeiter eine sinnvolle prophylaktische Investition.